Frühling in Paris? Das ist aktuell in Zeiten von Corona fast undenkbar. Wer sich trotzdem im sonnigen Vorfrühling nach einem Spaziergang durch farbige Gründerzeitviertel à la Haussmann sehnt, dem empfehlen wir als Alternative die Wuppertaler Nordstadt. Kenner der Architekturgeschichte wissen, dass es hier eines der größten und bedeutendsten gründerzeitlichen Wohnviertel in Deutschland gibt. Es entstand zwischen 1875 und 1895 in Form von vier- bis fünfgeschossigen Mietshäusern, die sich mit ihren schmuckvollen Fassaden zu geschlossenen Blöcken zusammenfügen. Obwohl die Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs auch in Wuppertal beträchtliche Schäden hinterlassen haben – mehr als 40 % der Häuser wurden zerstört oder stark beschädigt –, hielten sich die Schäden in der Nordstadt in Grenzen. Die damals für die Quartiere prägende Mischung aus Wohnen, kleingewerblicher Arbeit, Gastronomie und Einzelhandel hat sich deshalb bis heute erhalten. Sie prägt noch immer die baulichen Strukturen in der Wuppertaler Nordstadt und schafft heute beste Voraussetzungen für die Gentrifizierung, die hier in vollem Gange ist, auch wenn viele Wuppertaler das so noch nicht sehen. Viele Bauten sind inzwischen renoviert, ohne dass sie den alten Charme verloren haben. Neben herausgeputzten Wohnungen gibt es nette Geschäfte, einiges an Gastronomie und vor allem kleine Kneipen und Cafés.
Karte
Die Nordstadt
Unser Rundgang durch die Wuppertaler Nordstadt beginnt an der Hochstraße in der Nähe der Friedhofskirche. Am Wochenende kann man am Straßenrand gut parken. Die Friedhofskirche vom Elberfelder Architekt Adolf Cornehls (1898) überragt die Nordstadt. Von hier aus hat man einen schönen Blick über den Friedhof ins Tal. Nach etwa 200 Metern biegt man rechts in die Wülfrather Straße ein. Ein Blick in die Schreinerstraße gibt einen ersten Eindruck vom Reiz der gründerzeitlichen Architektur. Der Rundgang führt weiter über die parallel verlaufende und nicht minder reizvolle Brunnenstraße. Am Ende der Straße geht es rechts in die Marienstraße und dann links in die Gertrudenstraße. Über die rechts abzweigende Schusterstraße erreicht man den schönen Schusterplatz, der fast vollständig von Altbauten der Jahrhundertwende umgeben ist. Selbst der Neubau des Seniorenzentrums (Lutherstift) fügt sich architektonisch unaufdringlich in das architektonische Ensemble ein.
Luisenpark und Deweerthscher Garten
Der Rundgang führt über die Marien- und Otterbruchstraße weiter zum Luisenpark. Der Park umgibt die ehemalige Villa des Elberfelder Möbelfabrikanten Julius Adolf Schmits (1825-1899); sie wurde 1882 nach Plänen des Wuppertaler Architekten Heinrich Bramesfeld errichtet und beherbergt seit 1954 die private Herder-Schule. Der Schule direkt gegenüber liegt die reformierte Sophienkirche, erbaut 1853-58 nach Plänen des Kölner Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner.
Vom Luisenpark geht es über Treppen hinunter zum Deweerthschen Garten, einer kleinen Grünanlage mit Freifläche, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts vom Elberfelder Kaufmann Peter de Weerth angelegt wurde. Am Westende des kleinen Parks befindet sich die spätklassizistische Villa Frowein, erbaut für den Elberfelder Textilunternehmers Rudolf Frowein, der mit einer Enkelin Peter des Weerths verheiratet war.
In zwei Teilen durch die Elberfelder Innenstadt
Der nun folgende Abschnitt des Stadtrundgangs führt durch die Elberfelder Innenstadt. Im ersten Teil geht es entspannt und beschaulich über die Friedrich-Ebert-Straße. Hier gibt es noch viele inhabergeführte Geschäfte, die jetzt – in Zeiten von Corona – vor allem ihre Liefer- und Abholangebote bewerben. Das Angebot orientiert sich mit kleinen Boutiquen, Einrichtungs- und Feinkostgeschäften, Bio-Supermarkt und Cafés ganz an den Bedürfnissen und Interessen der neuen Mittelklasse, die sich in den attraktiven Wohnvierteln des Luisenviertels und der Nordstadt angesiedelt hat. Ab der Kreuzung Kasinostraße, beim Übergang der Friedrich-Ebert-Straße in die Fußgängerzone wird das Angebot im zweiten Teil der Innenstadtpassage standardisierter. Hier zeigen sich auch in Wuppertal (allerdings noch moderat) die strukturellen Probleme der Innenstädte mit ersten Leerständen und Trading-Down-Effekten. Über die schmucklose Straße Kipdorf, die wir nur als Übergang nutzen, verlassen wir den City-Bereich und steigen am Kreisverkehr auf zu den Hardt-Anlagen.
Die Hardt-Anlagen
Angelegt ab 1807 auf Initiative des Elberfelder Arztes Johann Stephan Anton Diemel, sind die Hardt-Anlagen mit dem ehemaligen Steinbruch ein romantischer Ort der Ruhe. Das Highlight liegt oberhalb des Steinbruchs auf der Elisenhöhe. Der Textilfabrikant und Stadtrat Engelbert Eller errichtete hier um 1875 ein Landhaus im Neorenaissance-Stil und umgab es mit einem blühenden Garten. Schon vorher hatte Eller auf den Fundamenten einer Mühle einen Aussichtsturm errichten lassen, dem er nach der Ehefrau des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. den Namen Elisenturm gab. Im Jahr 1910 wurde der von Stadt als Schulgarten angelegte Botanische Garten mit dem Eller‘schen Garten auf der Elisenhöhe vereinigt. Aktuell lohnt ein Besuch hier vor allem wegen der unzähligen blühenden Krokusse auf den Wiesen nahe des Turms.
Wieder Nordstadt, Thomaskirche und Nordbahntrasse
Man verlässt die Hardt-Anlagen, vorbei am Drei-Kaiser-Denkmal zur Erinnerung an die Befreiung Elberfelds von napoleonischer Herrschaft 1813. Über die Straße (und später Treppe) am Engelnberg nähern wir uns bergauf wieder der Nordstadt. Auch hier, z. B. an der Ostseite des Platzes der Republik, finden sich einige schöne Gründerzeitbauten. Aber man begegnet auch nüchternem Nachkriegswohnungsbau der 1950er-Jahre, der z. B. an der Ecke Lothringer-/Opphofer Straße selbstbewusst und ohne Orientierung an den historischen Bauköpern an die Stelle der alten Gründerzeitblöcke gesetzt wurde.
Die Route macht einen kleinen Abstecher zur neobarocken Thomaskirche von 1910, dann geht es auf die Nordbahntrasse. Sie entstand aus dem Umbau einer ehemaligen Eisenbahnstrecke, die seit 1879 Düsseldorf und Dortmund verband. 1991 wurde der Personenverkehr eingestellt. Heute verläuft hier oberhalb der Nordstadt ein Fuß- und Radweg. Ihm folgen wir, vorbei am Bahnhof Mirke (wo sich heute der Utopiastadt-Campus befindet, ein Zentrum des gesellschaftlichen Austauschs und der Alternativkultur) und am Kulturkindergarten. Bei „Policks Backstube“ verlassen wir die Nordbahntrasse. Von der Wiesenstraße zweigt links ein kleiner versteckter Weg zum Friedhof Hochstraße ab. Bevor man hier über den Friedhof zurück zum Ausgangspunkt geht, sollte man noch für einen Moment am 1886 errichteten Kutscherhaus der ehemaligen Kordel- und Litzenfabrik Rübel innehalten. Inmitten der modernen Wohnbebauung hat das kleine, schmucke Häuschen (Wiesenstraße 90) die Zeit bis heute überdauert.
Fazit
Der Rundgang durch die Wuppertaler Nordstadt und die Hardt-Anlagen eignet sich für alle Flaneure, die an Architektur, Geschichte und Parks interessiert sind. Man bekommt hier ein gutes Gefühl dafür, wie Stadt in Zukunft funktionieren kann. Der Rundgang ist deshalb auch spannend für alle professionellen und unprofessionellen Stadtplaner. Insgesamt ist der Weg recht ruhig. Lediglich in den Hardt-Anlagen und auf der Nordbahntrasse ist es bei gutem Wetter etwas voller. Aber man sollte diesen Stadtspaziergang auch unbedingt bei Sonne machen! Zwar kann man aktuell nirgends einkehren, aber auf dem Weg gibt es mehrere attraktive Möglichkeiten für Kaffee und Kuchen to go. Wir empfehlen aus eigener (mehrmalig guter) Erfahrung Milia‘s Coffee in der Innenstadt an der Ecke Burgstraße/Kirchstraße; daneben gibt es in der Nordstadt „La petite Confiserie“ (Marienstraße 37/Ecke Zimmerstraße), an der Friedrich-Ebert-Straße ChiCoffee Rösterei und ein kleines Außencafé am Bahnhof Mirke.