Auf den Spuren jüdischen Lebens in Südwestfalen – Ein Ausflug nach Dingden und Dorsten

Jüdisches Museum Westfalen

Im Rahmen des Exkursionsprogramms der Mercatorgesellschaft, des Vereins für Geschichte und Heimatkunde Duisburg, war ich am Wochenende auf den Spuren jüdischen Lebens in Südwestfalen unterwegs. Die erste Station der Exkursion war das Humberghaus in Hamminkeln-Dingden. Das 1840 auf den Resten eines Vorgängerbaus aus dem 17. Jahrhundert vom jüdischen Kaufmann Simon Cohen errichtete Wohnhaus wurde bis 1941 von der jüdischen Familie Humberg bewohnt. Sie betrieb hier eine Metzgerei und ein Textilgeschäft. Obwohl Abraham und Rosalie Humberg mit ihren sieben Kindern fest in die Dorfgemeinschaft Dingdens integriert waren und sich als Deutsche gefühlt hatten, wurden sie nach 1933 wie alle Juden Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. In der Pogromnacht wurde das Haus der Humbergs von SS-Leuten demoliert. Drei der Kinder flohen daraufhin über die Niederlande nach Kanada, die vier anderen Kinder wurden 1941 deportiert und später in den NS-Konzentrationslagern ermordet.

Mit beeindruckendem Engagement hat der Heimatverein Dingden ab 2001 das über die Jahre stark vernachlässigte Gebäude wieder hergerichtet. Es erwies sich dabei als Glücksfall, dass viele Elemente der ursprünglichen Einrichtung erhalten geblieben sind, darunter auch eine private Mikwe (ein rituelles Tauchbad), das vom neuen Besitzer, der dem Nationalsozialismus nahestand, mit altem Hausrat der Humbergs einfach zugeschüttet worden war. Der Heimatverein Dingden hat in fast zehnjähriger Arbeit die Räume des alten Humberghauses im Rückgriff auf Zeitzeugenberichte in authentischer Form wiederhergestellt. Vor allem durch Kontakte mit Nachfahren der Familie in Kanada konnten zahlreiche originale Einrichtungsgegenstände und Objekte an ihren ursprünglichen Ort zurückkehren. Es ist der Verdienst des Vereins, dass er mit intensiven Recherchen (auch mit intensiver fachlicher Beratung und Unterstützung) die Biographien aller Familienmitglieder und die Geschichte des Gebäudes sowie der Objekte minutiös aufgearbeitet hat. Auf diese Wiese ist eine Ausstellung entstanden, die eine starke emotionale Wirkung aus der dichten Beschreibung des Einzelfalls entfaltet. Wo historische Bildquellen fehlen, hat der Verein versucht, durch skizzenhafte farbige Zeichnungen die Anmutung der alten Räume und ihrer Nutzung nachzuempfinden – eine kreative Idee und eine sehr gelungene Umsetzung!

Einkehrmöglichkeit
Einkehrmöglichkeit: In der ehemaligen Klosterschenke, einem schönen Gebäude aus dem späten 18. Jh., befindet sich heute ein Café, dessen Besuch sich lohnt. Sylvie-Anne Valambert und ihr Partner Reinhard Pohle servieren im stilvollen Ambiente des Café Crème exquisite französische Patisserie-Spezialitäten. Die Kreationen begeistern nicht nur den Gaumen, sondern auch die Augen!

Von Dingden gelangt man in 40 min. über Landstraßen (durch reizvolle Natur; die Hälfte der Strecke über die B 58) nach Dorsten, wo sich das Jüdische Museum Westfalen befindet. Das Jüdische Museum Westfalen ergänzt das Humberghaus und die dortigen Familiengeschichten – wenn man so will – um den weiteren kulturhistorischen Kontext.

Die Ende letzten Jahres (im Dezember 2018) neu eröffnete Ausstellung ist zweigeteilt. Der eine Teil informiert über die jüdische Religion und die prägende Wirkung dieser Religion im Alltag. Dazu zählen jüdische Feste im Jahresverlauf ebenso wie Zeremonien und Feierlichkeiten im Leben des Einzelnen. Vieles, was hier gezeigt wird, hat allgemeine Bedeutung und ist so oder ähnlich (nur größer) auch im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Der besondere Reiz der Ausstellung liegt darin, dass jüdische Traditionslinien konkret an die Lebenswelt der Region angebunden werden, z. B. durch Hinweise auf jüdische Bergleute und Sportler oder jüdische Elemente in der Alltagssprache der Arbeiter.

Den gleichen Ansatz verfolgt der zweite Ausstellungsteil über jüdische Lebenswege in Westfalen. In diesem Teil der Ausstellung wird die Geschichte jüdischen Lebens in Westfalen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart dargestellt. Die Ausstellungsgestaltung ist von moderner Sachlichkeit geprägt und integriert moderne Medien. Auch hier sind es aber – wie im Humberghaus – vor allem die Einzelbiographien und -geschichten, die besonders berühren. So zum Beispiel der Bottroper Bücherfund von 1989: die Entdeckung eines Weidenkorbes mit jüdischer Literatur in einem ehemaligen „Judenhaus“, den Familien bei ihrer Deportation nach Riga 1942 zurücklassen mussten. Die Ausstellung schließt mit einem Blick auf das heutige jüdische Leben in Westfalen. Die Zahlen der jüdischen Gemeinde sind in den letzten Jahren stark gestiegen; dieser Anstieg ist in erster Linie auf die starke Zuwanderung von Juden aus Osteuropa zurückzuführen. In einem (von der aktuellen Diskussion sicher mit beeinflussten) Schlusskapitel zur Migration schlägt die Ausstellung eine Brücke zur Arbeitsmigration im frühen 20. Jahrhundert, als schon einmal viele Juden aus Osteuropa (sog. Ostjuden) nach Deutschland, vor allem ins industriell aufstrebende Ruhrgebiet, eingewandert sind.

Noch ein Tipp: Auf der Anfahrt nach Dingden lohnt ein kurzer Abstecher zum Schloss Ringenberg. Das Wasserschloss aus dem 17. Jahrhundert wurde nach dem Krieg an einen Galeristen vermietet, der hier die Derik-Baegert-Gesellschaft in Erinnerung an den Weseler Maler Derik Baegert (1440-1515) einrichtete. Nachdem es der Besitzerfamilie zunehmend schwerfiel, das Schloss zu erhalten, wurde es 1989 an die Gemeinde Hamminkeln verkauft und anschließend aufwändig saniert. Heute befinden sich hier Künstlerateliers. Das Innere des Schlosses ist nicht zu besichtigen, aber ein Spaziergang durch den gepflegten Park eröffnet schöne Außenansichten.

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