Wer sich für die Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen interessiert, sollte nach Oberhausen fahren und sich dort im LVR-Industriemuseum die Ausstellung „Energiewenden – Wendezeiten“ ansehen. Die Ausstellung zeichnet die Konjunkturen und Ablösungszyklen der großen Energieträger in den letzten zweihundert Jahren nach und zeigt die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Energie- und Gesellschaftsgeschichte auf.
Kohle, Strom und Öl
Einleitend werden die begrenzten Ressourcen der traditionellen Frühindustrien in den Blick genommen, die Zeit, in der die Wassermühlen zunehmend nicht mehr ausreichten, um z. B. eine Textilfabrik mit Energie zu versorgen. Die Kohle brachte den entscheidenden Umschwung; Produktionsstandorte verlagerten sich hin zur Kohle, die als Energieträger die großen Dampfmaschinen betrieb. Mit der neuen Energiequelle entwickelten sich neue Dimensionen des industriellen Wachstums. Die Ausstellung versinnbildlicht diesen Prozess anhand einer riesigen Pleuelstange, die um 1860 dafür sorgte, dass das Grubenwasser aus dem Schacht der Zeche Oberhausen gepumpt werden konnte.
Klein und filigran wirken dagegen die Lampen und Haushaltsgerät, die in der Ausstellung für den Übergang ins Stromzeitalter stehen. Kleine Elektromotoren ermöglichten es auch den Handwerksbetrieben (z. B. Bäckereien) Anschluss an die Mechanisierung des Industriezeitalters zu finden. Mit der großflächigen Verstromung von Braunkohle stand der neue Energieträger in großer Menge zur Verfügung. Welche Folgen daraus für Natur und Menschen resultierten, wird in Oberhausen v. a. anhand der Umsiedlungen im Rheinischen Braunkohlerevier eindrücklich vor Augen geführt.
Elektrizität behielt in der Folgezeit ihre Bedeutung. Gleichzeitig allerdings bekam die Kohle nach dem Zweiten Weltkrieg immer größere Konkurrenz durch preiswertes Erdöl, das über große Pipelines zu den Raffinerien in Scholven und Wesseling transportiert wurde. Obwohl die Fördermengen für Kohle weiter zunahmen, wurde das Öl zur energetischen Triebfeder für das Wirtschaftswunder. Ölzentralheizungen (ein Exemplar ist in der Ausstellung zu sehen), benzinbetriebene Motorroller (zeitweise in Lizenz in Ratingen-Lintorf produziert) und Autos trugen zum Wohlstand breiter Schichten der Bevölkerung bei.
Atomtechnologie und regenerative Energien
Der lange Wirtschaftsaufschwung führte zu großdimensionierten Prognosen über den zukünftigen Energiebedarf. Ab etwa 1970 versprach vor allem die Atomenergie die Deckung dieses Energiebedarfs. Mehrere Reaktoren waren für Nordrhein-Westfalen vorgesehen, nach dem Forschungsreaktor in Jülich (ab 1967 am Netz) vor allem der THTR 300 in Hamm (ab 1985 am Netz) und der Schnelle Brüter in Kalkar (der nie in Betrieb ging). In der Ausstellung ist ein Stück des Reaktordeckels des AKW Würsen (1971-1994) zu sehen, der 1970 in der Gutehoffnungshütte in Oberhausen gegossen wurde. Das Exponat macht darauf aufmerksam, dass viele Unternehmen der Montanindustrie an Rhein und Ruhr vom Aufbruch in das Atomzeitalter profitiert haben. Die Ausstellung lenkt auch hier den Blick kritisch auf die Proteste der Anti-Atomkraftbewegung und zeigt parallel die große Utopie (Atomkraft als Technologie des Friedens und der sozialen Gerechtigkeiot) und die verheerenden Unglückfälle (z. B. anhand von Filmsequenzen, in denen schauspielerisch mit dem Ziel der Aufarbeitung von Entscheidungsfehlern die Reaktorkatastrophe von Fukushima nachgestellt wird).
Die Ausstellung endet – wie sollte es anders sein – mit einem Überblick über die erneuerbaren Energien. In diesem Teil gibt es viele interaktive Stationen – eine z. B. in der man selbst testen kann, an welchen Standorten Wind- und Solarkraftanlagen gebaut werden dürfen. In einer „Zukunftswerkstatt“ stellen wechselnde Firmen neue Technologie zur Einsparung und Wiedergewinnung von Energie vor.
Fazit zur Ausstellung
Den Ausstellungsmachern in Oberhausen ist ein klar strukturierter und didaktisch hervorragend aufbereiteter Streifzug durch zweihundert Jahre Energie- und Sozialgeschichte in Nordrhein-Westfalen gelungen. Die Ausstellung ist in allen Teilen spannend und informativ. Über Leih-Tablets und stilisierte QR-Codes kann man an vielen Stationen zusätzliche Inhalte aufrufen; vor allem auf einer großen begehbaren Karte des Landes, die eine Übersicht über wichtige Energiestandorte gibt (Benutzer können diese Übersicht übrigens durch eigene Vorschläge weiter anreichern). Mit dieser Fülle an Informationen kann man gut und gerne mehrere Stunden in der Ausstellung verbringen, sehr gut auch mit Kindern und Jugendlichen (ab ca. 12 Jahren – Kinder und Jugendliche haben noch zudem freien Eintritt). Wer weniger Zeit mitbringt, erhält durch die kompakten Ausstellungstexte wichtige Grundinformationen zur Charakteristik der einzelnen Energieepochen. Wir hatten das Glück, in einer ausführlichen Führung durch die Ausstellung begleitet zu werden. Auch das ist sehr zu empfehlen; es gibt regelmäßige öffentliche Führungen. Die Termine findet man auf der Internetseite des Museums.
Die Ausstellung „Energiewenden – Wendezeiten“ läuft noch bis zum 28. Oktober 2018. Das LVR-Industriemuseum Oberhausen ist sehr gut mit der Bahn zu erreichen. Es liegt direkt am Hinterausgang des Bahnhofs Oberhausen. Wer mit dem Auto kommt, kann den dortigen großen Park & Ride-Parkplatz nutzen.
Zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung…
Man merkt, dass man älter wird, wenn man in historischen Ausstellungen immer mehr Exponate noch aus eigenem Erleben kennt. So ging es mir auch diesmal: Im Ausstellungsteil zum Öl-Boom der Nachkriegszeit zeigt eine Vitrine das Gesellschaftsspiel „Öl-Magnat“ aus den 1970er Jahren. Ich kann mich noch gut an dieses Spiel und seine ausgefeilte Mechanik erinnern. Vielleicht schaue ich mal im Keller nach, ob das Spiel (wie so vieles andere) zufällig die Umzüge der letzten Jahrzehnte überlebt hat.