Am Wochenende hatte in Duisburg Puccinis „La Bohème“ Premiere in der Inszenierung von Philipp Westerbarkei Premiere. „La Bohème“ ist eine der beliebtesten Opern Puccinis und sicher eine der bekanntesten Opern überhaupt. Das liegt vor allem an der eingängigen Musik; es gibt einige schöne Arien. Es liegt aber sicher auch am Schauplatz Paris, am Künstlermilieu und an der Liebesgeschichte. All diese Zutaten bilden bis heute das Grundrezept für Filme und Musicals. Puccini hat die romantischen Versatzstücke wirkungsbewusst eingesetzt. Er lässt das Milieu wirken, nicht so sehr die Handlung, die einfach und wenig originell ist: Rodolfo verliebt sich (eher zufällig) in seine Nachbarin Mimi, die krank ist, was Rodolfo zunächst nicht weiß (klassischer Einstieg). Als Rodolfo von Mimis Krankheit erfährt, distanziert er sich von ihr, weil er ihr als armer Künstler nicht helfen kann. Mimi hingegen sucht bewusst die Nähe Rodolfos. So läuft die Beziehung weiter, auch wenn Rodolfo mit dem Kopf eher bei seinen Künstlersorgen als bei Mimi zu sein scheint. Als diese schließlich todkrank in seiner Wohnung erscheint, ist es für alle Rettungsversuche zu spät. Mimi stirbt und Rodolfo betrauert sie (oder mehr vielleicht noch seine verpassten Chancen).
Musikalisch ist die Duisburger „Bohème“ überzeugend. Das Orchester unter Leitung von Antonino Fogliani bringt die spielerische Leichtigkeit zu Beginn des Stücks ebenso gekonnt zum Ausdruck wie die wachsende emotionale Dramatik und Anspannung ab dem 3. Bild. Die wiederkehrenden Motive werden gut herausgearbeitet und so der musikalische Spannungsbogen über die gesamte Zeit gehalten. Liana Alksanyan gibt eine solide Mimi; man spürt ihre Vertrautheit mit der Partie, hätte sich aber an manchen Stellen noch etwas größere Differenzierungen gewünscht. Eduardo Aladren, der zum ersten Mal in der Rolle des Rodolfo zu hören war, macht gesanglich ebenfalls eine gute Figur, auch wenn manche Passagen etwas kraftvoller hätten ausfallen dürfen. Dass Rodolfo und Mimi diese Aufführung nicht überstrahlen, sorgt mit dafür, dass man beachtenswerte Leistungen auch in den Nebenrollen wahrnimmt. Hier verdient vor allem Bogdan Baciu Erwähnung, der den Marcello selbstbewusst und ausdrucksstark gestaltet. – Im Ergebnis ist die Duisburger „La Bohème“ eine hörenswerte Ensembleleistung, die zeigt, wie gut die Sängerinnen und Sänger sowie das Orchester zusammenwirken.
Es ist ein wenig schade, dass Philipp Westerbarkei dieser guten Opern-Mannschaft keine ebenbürtige Bühne bieten kann. Es gelingt ihm nicht, die etwas holzschnittartige Geschichte Puccinis mit Emotionalität zu füllen oder ihr einen tieferen Sinn zu geben. Krampfhaft versucht Westerbarkei das gewollte Künstlertum der Akteure herauszuarbeiten, die deshalb immer wieder mit Manuskripten auf der Bühne stehen (auch andauernd die Manuskripte an den Wänden ihrer Wohnung traktieren). In dieser gezwungen künstlerischen Selbstreflexion agieren die Freunde Rodolfos seltsam teilnahmslos; das gilt insbesondere für Marcello, dem man echtes Mitleid mit Rodolfo kaum abnimmt. Zeitweise (vor allem im 3. Bild) nimmt Westerbarkeis Inszenierung fast den Charakter einer konzertanten Aufführung an. Auch das Bühnenbild bleibt merkwürdig neutral. Die Pariser Künstlerwohnung erscheint wie das Innere eines Gasometers – in steril gekachelter Krankenhaus-Atmosphäre, ganz und gar unromantisch. Gegenüber dem Publikum sorgt das für weitere Distanzierung. Da können auch die gelegentlichen slapstickartigen Tanzeinlagen kaum größere Anteilnahme wecken.
Man hätte sich gewünscht, die solide musikalische Leistung wäre von einer sprechenderen und zugänglicheren Inszenierung getragen worden. Eine solche hätte durchaus nah am Stoff bleiben und das Lückenhafte der spröden Handlung in emotionaleren Bildern interpolieren können. Wer mehr oder anderes will, muss genau wissen, welche Geschichte er aus der „Bohème“ heraus erzählen will. Dass „La Bohème“ (zumindest auch) als Reflexion über Kunst und Kunstschaffende gehört werden kann, will und soll, ist eigentlich selbstverständlich. Auch die Dramaturgin Anne do Paço wies in ihrer (leider etwas stakkatoartigen) Einführung in den Abend auf diese Zusammenhänge hin. Die Reflexion und Selbststilisierung des Künstlertums dürfen allerdings keine aufgesetzten Gedankenspiele bleiben, sondern müssen sich anschaulich aus der Inszenierung heraus erschließen. Das taten Sie in diesem Fall nur bedingt.
Muss man trotzdem die „Bohème“ der Deutschen Oper am Rhein gesehen haben? Wenn man regelmäßig in die Oper geht und die Aufführungen der großen nationalen und internationalen Bühnen als Maßstab nimmt, dann kann man auf diese „Bohème“ vermutlich verzichten. Für Opern-Einsteiger bietet sie jedoch eine gute Gelegenheit, sich mit dem Genre grundsätzlich vertraut zu machen. Puccinis Musik ist wirklich schön und seine Arien bieten alles, was Oper ausmacht. Mit einer Spielzeit von 2 ½ Stunden ist „La Bohème“ dabei auch für musikalische Laien gut konsumierbar. Das Ensemble der Deutschen Oper am Rhein agiert auf hohem künstlerischen Niveau. Die Inszenierung ist keine Meisterleistung, aber immer noch (auch handwerklich!) eine ordentliche Rahmung für eine reizvolle musikalische Begegnung.
Am Ende noch drei praktische Tipps für einen gelungenen Opernabend in Duisburg
Gut und vergleichsweise günstige Karten gibt es im Duisburger Theater in Preiskategorie C im 3. Parkett. Wer sparen will, wählt Karten in der Reihe 16 im 3. Parkett (Preiskategorie D). Für Schüler und Studenten gibt es eine Stunde vor Vorstellungsbeginn Restkarten für 10 Euro – eine gute Alternative z. B. zum Kino (wo man ja immer noch hingehen kann, wenn man keine Karten bekommen sollte).
Lesen Sie vor der Aufführung die Handlungszusammenfassung in der Wikipedia. Auf das Booklet können Sie vor Ort getrost verzichten. Alle wichtigen Informationen zu den Künstlern finden Sie auch auf den Internetseiten der Deutschen Oper am Rhein.
Wenn Sie den Opernabend mit einem guten Essen einleiten wollen, empfehle ich das Restaurant Palazzo (direkt gegenüber dem Theater im City Palais). Damit zeitlich alles klappt, sollten Sie bei einem Vorstellungsbeginn um 19.30 Uhr für 18 Uhr einen Tisch reservieren. Das Palazzo bietet gute italienische Küche in angenehmer Atmosphäre; der Service arbeitet konzentriert und (auch bei vollem Haus zeitlich) effektiv und stets nett und humorvoll.